„Freiheit ermöglicht auch Sicherheit“

Um das Spannungsfeld  zwischen Sicherheit und der Freiheit jedes und jeder Einzelnen ging es im ersten Werte.Dialog der Caritas in St. Arbogast. Dieses neue Format soll Raum und Zeit zum Innehalten, Nachdenken und für den Dialog zwischen PolitikerInnen, SystempartnerInnen, Freiwilligen und MitarbeiterInnen der Caritas schaffen.

 

„Unser Anliegen mit diesem Werte.Dialog ist es, Veränderungen und Verschiebungen in der Gesellschaft nicht einfach geschehen zu lassen, sondern reflektierend zu begleiten und damit diesen Veränderungen gegenüber auch Gestaltungskraft zu gewinnen“, erläuterte Caritasdirektor Walter Schmolly bei seiner Begrüßung. Thematisch widmete sich der erste Werte.Dialog unter dem Titel „Sicherheit und Freiheit – ein Widerspruch?“ der Spannung zwischen diesen zwei Grundwerten. Die Frage, wie viel Freiheit in einer Gesellschaft herrschen kann und wie viel Freiheit auf Kosten der Sicherheit geopfert werden muss, wurde bereits in der ersten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die französische Nationalversammlung von 1789 thematisiert. „Seit es Menschen gibt, stehen diese Werte in einer Spannung zueinander. Momentan erleben wir aber aus unserer Sicht eine tiefgehende Neuvermessung des Verhältnisses“, nannte Walter Schmolly die Ebenen äußere Sicherheit, soziale Sicherheit, psychische Sicherheit, aber auch die religiös-spirituelle Sicherheit. Die Frage sei keinesfalls nur rein philosophischer Natur, sondern fordere jede und jeden Einzelnen von uns bei alltäglichen Entscheidungen – beispielsweise der Schutz der Umwelt, neue Gesetze oder das Öffnen oder Schließen von Grenzen.

 

Als ExpertInnen betrachteten die Politologin und Sozialwissenschaftlerin Margit Appel, der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann sowie der Theologe Nikolaus Wandinger das Spannungsfeld Sicherheit und Freiheit jeweils aus ihrer Perspektive. Als weiterer Referent hatte Bart Somers, Bürgermeister im belgischen Mechelen und 2016 als Weltbürgermeister ausgezeichnet, sein Kommen zugesagt – nach der Übernahme eines Ministeramts in der neuen Regierung Flanders musste er seine Zusage leider wieder zurückziehen.

 

Der an der Universität Kassel tätige Psychologe Ernst-Dieter Lantermann sieht in der Globalisierung eines der Themen, das bei vielen Menschen ein tiefes Gefühl von Unsicherheit und Desorientierung hervorrufe. „Eine immer älter werdende Gesellschaft, die Weltlage an sich sowie die absolute Unsicherheit punkto gesellschaftlichem Zusammenhalt sind weitere Themen, die Menschen verunsichern“, nannte Lantermann verschiedene Beispiele. Dies rufe in den Menschen den Wunsch nach Sicherheit hervor: „Deutschland ist beispielsweise eines der sichersten Länder der Welt, dennoch sind hier die Menschen am umfangreichsten versichert.“ Eine geistige Entwicklung des Menschen – egal in welchem Alter – sei andererseits nur möglich, wenn dieser sich in Sicherheit währe. „Das ist ein nicht verhandelbares Grundbedürfnis“, so Ernst-Dieter Lantermann. Vertrauen – persönliches, aber auch Vertrauen in das System - die Fähigkeit zur Empathie und Toleranz seien Ressourcen, die eine angstfreie Entwicklung verstärken. „Demokratisch verfasste Tugenden und eine Gesellschaft, die verlässliche Rahmenbedingungen auch in Bezug auf Freiheit und Sicherheit bietet, schaffen eine Balance zwischen den Bedürfnissen.“ Und ein Nachsatz: „Gelebte Demokratie beginnt dabei bei jeder und jedem Einzelnen und schon von Beginn an.“

 

Die freischaffende Politologin und Erwachsenenbildnerin Margit Appel betrachtete in ihrem Vortrag den Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit aus feministischer Perspektive. Ein gutes Leben für alle sei dabei das Ziel. „Die Demokratie sollte gleiche Rechte für Bürgerinnen und Bürger auf Teilhabe an der politischen Gestaltung der sie gleichermaßen betreffenden Lebensverhältnisse zusichern.“ Diese Versprechen seien nach wie vor nicht umgesetzt, die Möglichkeiten, eigene Lebensbedingungen mitzugestalten sehr ungleich verteilt. „In erster Linie profitieren jene, die schon privilegiert sind“, so Margit Appel. „Demokratie als Lebensform hat nur Zukunft, wenn die Menschen größtenteils frei von Angst sind“, so die Überzeugung der Wienerin. Ihr Fazit ist dennoch ein zuversichtliches: „Freiheit ermöglicht auch Sicherheit!“

 

Als dritter Referent im Programm betrachtete der in Innsbruck tätige Theologe Nikolaus Wandinger den Spannungsbogen zwischen Sicherheit und Freiheit aus seiner Perspektive und nahm dabei ebenfalls Bezug auf den Staat, der ordnende und regelnde Strukturen zur Verfügung stelle, um Frieden sowie Freiheit und Sicherheit für alle zu sichern. Was sich dabei durch die Jahrhunderte ziehe, sei die Suche nach Sündenböcken. „Die Menge einigt sich darauf, jemandem die Schuld zuzuschieben. Ob das nun das Kind ist, das nicht mitspielen darf oder Zuwanderer – der Sündenbockmechanismus einigt die Feinde kurzfristig.“ Als Theologe ist Nikolaus Wandinger überzeugt und belegt dies auch mit Studien, dass Menschen, die auf Gott vertrauen, sich vergleichsweise mehr in Sicherheit wiegen als andere. Wandinger ging auch auf das Gewissen als Regulativ ein, das Freiheit und Verpflichtung zusammenbringe.

 

Workshops und Gesprächspausen sorgten im Rahmen des ersten Werte.Dialogs auch für Begegnung, Vernetzung und vertiefende Gespräche unter den BesucherInnen. Vielleicht ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers und Staatsmann Benjamin Franklin, das im Laufe des Tages immer wieder fiel als Fazit: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“