Caritasdirektor Walter Schmolly und Sozialberaterin Eva Doherty-Berchtold beim heutigen Pressegespräch zum Thema „Teuerungswelle darf nicht zur Armutsfalle werden“

Caritasdirektor Walter Schmolly und Sozialberaterin Eva Doherty-Berchtold beim heutigen Pressegespräch zum Thema „Teuerungswelle darf nicht zur Armutsfalle werden“

Teuerungswelle darf nicht zur Armutsfalle werden

Um 7,2 Prozent ist im April die Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Das betrifft uns alle. Aber es trifft insbesondere einkommensschwache Menschen, weil sie schon bisher das gesamte Einkommen für Lebensnotwendiges ausgeben mussten und keine Reserven haben. Die Caritas befürchtet, dass die massiv steigenden Lebenserhaltungskosten die Armutsspirale anfeuern.

„Wir bekommen in unserer Arbeit Tag für Tag mit, wie die aktuelle Teuerungswelle auf Personen in einkommensschwachen Haushalten, insbesondere auch auf Kinder wirkt. Wir machen uns Sorgen, dass die Teuerungswelle zur Armutsfalle wird, wenn nicht entsprechend Maßnahmen gesetzt werden“, erklärt Caritasdirektor Walter Schmolly zum Beginn eines Pressegesprächs im Feldkircher Caritas-Center.

Die Teuerung der letzten Monate trifft zwar alle Haushalte, aber sie trifft die Haushalte ungleich:

  • Einkommensschwache Haushalte haben von vornherein deutlich weniger Möglichkeiten, irgendwo etwas einzusparen, weil ein Großteil des Haushaltsbudgets für lebensnotwendige Ausgaben (Miete, Energie, Lebensmittel) gebunden ist.
  • Hinzukommt, dass gerade in diesen Bereichen die Preissteigerung besonders hoch ist: Beispielsweise haben sich für Wohnung, Wasser und Energie die Preise im Jahresvergleich durchschnittlich um 9,4 Prozent erhöht.
  • In einkommensschwachen Haushalten wiegt schwerer, dass die Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe nicht inflationsangepasst werden.
  • Die Teuerung trifft die Haushalte nach der Corona-Phase in einer ohnehin schwierigen Situation. Viele einkommensschwache Haushalte haben keine Reserven mehr.

„Die Auswirkungen der Teuerung sind für diese Menschen sehr vielschichtig und reichen von existenziellen Sorgen und psychischen Belastungen über die reduzierte gesellschaftliche Teilhabe bis hin zu gesundheitlichen Folgen“, erläutert Walter Schmolly. Auffallend ist auch die Steigerung der Erstkontakte in den Beratungsstellen Existenz&Wohnen: Diese liegt mit 384 Erstkontakten um 23 Prozent über jener des Vorjahres.

Stimmungsbild offenbart massiven Kostendruck
Eine Umfrage unter den Eltern der Kinder und Jugendlichen in den Caritas Lerncafés zeigte zudem, dass es über 95 Prozent dieser Haushalte deutlich schwerer fällt, finanziell über die Runden zu kommen, als dies noch vor einem halben Jahr der Fall war. Neun von zehn Eltern berichteten, dass sie größere Anschaffungen auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschieben müssen. Über 80 Prozent der Befragten blicken angesichts der Entwicklungen besorgt in die Zukunft, wenn sie an die finanzielle Situation ihrer Familie denken.

Ein Blick in den Alltag in den Beratungsstellen Existenz & Wohnen
Auch Sozialberaterin Eva Doherty-Berchtold berichtet aus der Praxis in den Beratungsstellen Existenz & Wohnen, dass der Druck auf einkommensschwache Menschen steigt: „Schon bisher hatte ein Drittel der von uns erreichten Menschen mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufzuwenden. Wenn der Anteil der Fixkosten sich aufgrund der Teuerung nochmals erhöht, reduziert sich der finanzielle Spielraum weiter.“ Die Caritas rechnet jetzt, dass die Zahl der Anfragen im Laufe des Jahres deutlich ansteigen wird.

Wie die Caritas hilft

  • Beratung, Überbrückungshilfe
  • Erschließung von öffentlichen Unterstützungen
  • Praktische Hilfe, wie beispielsweise der Energiesparcheck: Mit 339 Beratungen war die Nachfrage im vergangenen Jahr so hoch wie noch nie. Auf Basis einer erweiterten Kooperation mit illwerke vkw kann die Caritas nunmehr bei Energiekostenrückständen auch eine finanzielle Unterstützung zukommen lassen und einen Energiesparcheck veranlassen.

Was es nun braucht
Caritasdirektor Walter Schmolly betont, dass sowohl der Bund mit dem Teuerungs- und Energiekostenausgleich sowie der Erhöhung der Pendlerpauschale und der Streichung der Elektrizitätsabgabe, aber auch das Land Vorarlberg mit dem Anheben des Wohnkostendeckels in der Sozialhilfe und der finanziellen Unterstützung von Mittagessen an der Schule Maßnahmen zur Abfederung der Teuerung gesetzt haben.

„Das sind hilfreiche Mittel, sie reichen aber bei Weitem nicht aus, um jene einkommensschwachen Haushalte, die von sich aus der Teuerung nichts entgegenhalten können, vor dem Abrutschen in Armut bewahren zu können“, macht Walter Schmolly bewusst. „Damit die Teuerung zu keiner Armutsfalle wird, die die soziale Schwere in unserer Gesellschaft noch weiter öffnet, braucht es neben den Einmalzahlungen vor allem strukturelle Maßnahmen, die diese Haushalte auffangen:

  • Als strukturelle und nachhaltige Maßnahme müssen Sozialleistungen der Teuerung angepasst und so ausgestattet werden, dass sie Menschen vor Armut schützen.
    Ein Beispiel: Damit die Familienbeihilfe heute die gleiche Kaufkraft hätte wie im Jahr 2000, müsste sie um 30 Prozent höher sein.
  • Ein besonderer Fokus muss auf die Kinder gelegt werden. Die Kinderkostenstudie aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt, welch große Lücke zwischen den Sozialleistungen und den tatsächlichen Kosten für Familien ohnehin klafft. Hier muss an allen verfügbaren Schrauben gedreht werden. Dazu zählt beispielsweise, dass auf Bundesebene der Familienbonus sozial gerechter gestaltet wird. Seitens des Landes sollte die Erhöhung der Kinderrichtsätze in der Sozialhilfe angegangen werden.
  • Als Lackmustest muss die Wirkung der Maßnahmen auf die in Österreich am meisten armutsbetroffene Gruppe – langzeitbeschäftigungslose Menschen – gelten. Aktuell wird das Arbeitslosengeld neu gestaltet. Die Teuerung zeigt in zugespitzter Form einmal mehr, wie verheerend es ist, wenn Langzeitbeschäftigungslosigkeit mehr oder weniger automatisch Armut bedeutet.

Stimmungsbild Elternbefragung Lerncafés:


95% der befragten Eltern stimmen der Aussage zu, dass sie die Preiserhöhungen bereits deutlich spüren. Es fällt ihnen deutlich schwerer über die Runden zu kommen, als dies noch vor einem halben Jahr der Fall war.

Über 90% mussten laut eigener Angaben bereits größere Anschaffungen oder Aktivitäten aufgrund der Teuerung verzichten.

Über 80% blicken derzeit besorgt in die Zukunft, was ihre finanzielle Situation und die für die gesamte Familie betrifft.